parsifal hendrix Creative Commons License 2017.08.15 0 0 4257

                                        Still ist mein Herz und harret seiner Stunde

                                           Wollt Ihr Das Bett In Flammen Sehen?

 

 

Zweifellos hat Mahler durch seine Bearbeitung den fast impressionistisch wirkenden Charakter des alten Textes betont, zum Teil im Rückgriff auf eigene Jugendgedichte; erst in seiner Version sehnen sich die müden Menschen nach vergessenem Glück und danach, „Jugend neu zu lernen“. Auf diese Weise gewinnt das Lied eine moderne Gebrochenheit, die die letzte Begegnung mit dem Freund (die so nicht im chinesischen Original steht) zugleich zu einer dionysischen Beschwörung des „ewigen Liebens“ und „Lebens“ macht. Anders als in der Vorlage lässt der Komponist in seiner Verknüpfung der Gedichte den sehnsüchtig erwarteten Freund – mit dem Text von Wang-Wei – zwar doch noch eintreffen, aber nur um endgültig Abschied zu nehmen. Die melancholischen Verse verschattet Mahler noch mehr, indem er die Zeilen „Ich wandle nach der Heimat! Meiner Stätte“ und „Still ist mein Herz und harret seiner Stunde!“ einfügt.

Mahler verstärkt den Charakter der Todesnähe – nicht umsonst gibt er „schwer“ als musikalische Charakteristik des sechsten Satzes vor. Besonders aber intensiviert er die schon in der Vorlage angelegte Spannung zwischen Lebensmüdigkeit und Lebensfreude, zwischen der Flüchtigkeit der Dinge und der Relativität der Sinneswahrnehmungen. Wang-Wei, der dem buddhistischen Denken nahestand, hatte mit den Schlussversen „Die Erde ist die gleiche überall, / Und ewig, ewig sind die weißen Wolken . . .“ die Lebendigkeit im Kontrast zur Lebensmüdigkeit ausgekostet. Mahler fügt seinen eigenen Schlussversen aber eine schillernde Beschwörung der sich immer wieder erneuernden Natur hinzu, wobei der nur mehr rhetorische Charakter im siebenmaligen „Ewig“, das im Nichts verhallt, gerade nicht die Zuversicht, sondern Trauer und Verlustangst unterstreicht.

Hat man Hans Bethges Übersetzung unter Kitschverdacht gestellt (er war des Chinesischen nicht mächtig und hatte eine französische Version genutzt), so hat Mahler durch die Steigerung der Kontraste und Paradoxien die „Unerreichbarkeit des versöhnten Ganzen“, wie Adorno sagt, als Vermächtnis weitergegeben: Die Uraufführung des „Liedes von der Erde“ im November 1911 hat Mahler nicht mehr erlebt. Einschneidende Abschiede hatten schon die Entstehung des Werkes begleitet – im Sommer 1907 war die fünfjährige Tochter Maria Anna gestorben, kurz danach wurde Mahlers tödliche Herzkrankheit diagnostiziert, und im Herbst trat er von seinen Ämtern an der Wiener Staatsoper zurück, wo man ihm das Leben schwergemacht hatte. Und der Abschied wird dann gleichsam das Programm seiner Neunten Symphonie. Trotz der Ansätze zu einer Zehnten ist er, wie Beethoven und Bruckner, über diese Grenze nicht hinausgekommen.

Nicht im Gestus des expressionistischen Aufbruchs, sondern mit der im Abschied schmerzlich entbehrten Schönheit des pantheistischen Lebens hat Mahler sich als Stimme des zwanzigsten Jahrhunderts behauptet. Noch mit seinen mutigen Eingriffen in die Texte seiner Vorlagen beweist er sich wo nicht als genuiner Lyriker, so doch als ein Anwalt des Wortes und seiner bedingungslosen Wahrheit, auch wenn sie aus räumlicher und zeitlicher Ferne kommt.

https://www.youtube.com/watch?v=vqnk9HWbKRA