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Im Alter von neunundfünfzig Jahren, kurz nach der Scheidung von seiner zweiten Frau, gab Georg Philipp Telemann einer neuen Liebe nach: der „Bluhmen-Liebe“, wie er brieflich gestand. Der Komponist wurde Gärtner. Vor den Toren Hamburgs pflanzte er Chinesischen Hanf und Chinesische Astern, Aloen und Säulenkakteen, Blumen aus Polen und was ihm Freunde und Kollegen wie der Geiger Johann Georg Pisendel oder die Komponisten Georg Friedrich Händel und Carl Heinrich Graun per Post zukommen ließen. Nicht weniger als 63 Pflanzenarten verzeichnet die Liste, die Telemann seinem Freund Johann Friedrich Armand von Uffenbach in Frankfurt am Main zusandte. Telemann blühte auf.

Der Grund für dieses Hobby, so darf man es wohl bezeichnen, war eine jäh nachlassende Arbeitslast. Telemann verantwortete in Hamburg als Städtischer Musikdirektor nicht nur die Kirchenmusik an den fünf Hauptkirchen, hatte nicht nur jahrelang nebenbei die Oper am Gänsemarkt geleitet; er hatte auch noch einen eigenen Verlag betrieben, für den er mehrheitlich selbst die Noten in Kupferplatten für den Druck stach. Dieser Mann muss pausenlos gearbeitet haben. Doch 1739 reduzierte er sein Pensum und löste seinen Verlag auf. Den Grund dafür glaubt Siegbert Rampe jetzt gefunden zu haben, und seine Argumente leuchten ein. Telemann hatte seinen Verlag im Jahr 1725 nicht aus vordringlich künstlerischen Interessen gegründet, sondern weil er Geld brauchte. Kurz zuvor nämlich hatte ihn seine zweite Frau Maria Catharina mit einem andern Mann betrogen – dass es ein schwedischer Offizier gewesen sei, hält Rampe für nicht gesichert – und immense Spielschulden angehäuft: insgesamt fünftausend Reichstaler oder mehr als fünfzehntausend Mark. Für einen Kirchenmusikdirektor war beides ein Skandal: Spielsucht und Ehebruch. Aber er ging in seiner Reputation völlig unbeschädigt aus dieser Angelegenheit hervor. Die Hamburger Bürgerschaft half ihm sogar mit einer Spende von sechshundert Reichstalern; seiner Ämter ging er nicht verlustig.

Mit Händel stand er von 1701 bis 1754 in Korrespondenz, mit Bach war er als Taufpate von dessen zweitältestem Sohn Carl Philipp Emanuel familiär verbunden. In Leipzig wäre er 1722 die erste Wahl des Stadtrats als Thomaskantor gewesen, bevor man sich auf Bach – dritte Wahl – einigte. Telemann galt als der größte Komponist Deutschlands seiner Zeit, geliebt vom Publikum, geachtet von den Behörden – es gab so gut wie niemals Beschwerden über seine Amtsführung – und aufrichtig geschätzt von seinen besten Kollegen.

Warum man Telemann einen „Vielschreiber“ schimpft, Mozart aber nicht, möchte Rampe gern von der Welt und ihren Kunstrichtern wissen. Telemann, dessen Kammerquartette in Paris mit großem Erfolg verlegt wurden und der selbst das Angebot bekam, Hofkapellmeister des russischen Zaren zu werden, besaß eine große Gabe, auf verschiedene Geschmäcker und stilistische Umbrüche zu reagieren. Er begann in der Welt des späten siebzehnten Jahrhunderts und näherte sich im Spätwerk der schlichten Grazie der Frühklassik an. Die Zeitschrift „Der Critische Musicus“ von Johann Adolph Scheibe hat er ebenfalls mit initiiert und damit immens zur Bildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit in Deutschland beigetragen.

G.P. Telemann The Paris Quartets  

https://www.youtube.com/watch?v=b_qutnEe_DM