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                                                       Der Krieg ist der Stiefvater aller Dinge               

 

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Jörinde Dröse vergegenwärtigt die Geschichte aus der Epoche der Völkerwanderung und des religiösen Umbruchs als prinzipiell zeitlosen Konfliktstoff, der auch in unserer multikulturellen Gesellschaft zu schwelen scheint.  Der Plot schält sich nach und nach heraus. Mit unerbittlicher Konsequenz, wie sie jeder uralten, archetypischen, unterschwellig allzeit wirksamen Legende eigen ist. Die Dinge nehmen ihren tragischen Verlauf: vom Eintreffen Siegfrieds am Burgunderhof in Worms über den Tod des Helden bis zu Kriemhilds Rache. Ein klarer Strang. Eine deutliche Abfolge. Ein deutscher Mythos.

Dabei beginnt der Abend überzeugend mit einem subtil als Kammerspiel inszenierten ersten Akt. Tisch und Stühle, eine Küchenzeile und eine – wenn auch allzu oft – von Götterhand durch den Raum bewegte Tür genügen als abstrakte Requisiten. Das Drama der Wälsungen ist Teil jenes Spiels, das der Herrscher über Walhall höchstselbst auf einem die ganze Bühne füllenden Leuchttisch ins Werk setzt. Dieser Leuchttisch zieht sich als optisches Leitmotiv durch die ersten beiden Akte, mal im verkleinerten, für Götter passgenauen Maßstab, mal bedrohlich überdimensioniert wie in der Menschensphäre, wo Siegmund und Sieglinde nach vollzogenem Inzest Gefahr laufen, von der numinosen Spieltechnik erschlagen zu werden.

Die Riesenfrau Brunhilde der Constanze Becker präsentiert sich auch mimisch als majestätische Schwerathletin. Ihr sagenhaftes Isenland, bewacht von der silbersträhnigen Amme Frigga, die Wiebke Frost in einem schicken Tarnanzug lässig-subversiv gibt, hat zugleich den urzeitlichen Charme einer Amazoneninsel und das Flair eines kampflesbischen Utopia. Da nur Siegfrieds Kraft und technische Tricks die Unterwerfung des Superweibs unter den schwachen Ehrgeizling Gunther möglich machen, nimmt Stratege Hagen auch jenem das männerbündische Schweigegelöbnis ab. Und dessen Bruch sabotiert dann mit Gunthers Ehe auch seine Autorität und die gesamte politische Ordnung. Wenn Hagen Siegfrieds Tod fordert und selbst herbeiführt und Kriemhild darauf mit ihrem Racheplan antwortet, den Hagen allein sofort durchschaut, so duellieren sich zwei Rechtslogiken, das männliche Rudelreglement und die weibliche, die totale Liebesverpflichtung.

Der Aufstand gegen die Realität: Diese Wendung gibt der Regisseur dem altbekannten Stoff. Es ist eine kunsttheoretische Pointe. Denn einer alten Sage nach ist es die Kunst, die sich gegen die „wirkliche Wirklichkeit“ wendet und eine eigene schafft. So werden die Besucher anfangs in Bewegung gesetzt, um sie, wie bei einem Initiationsritus, zur Kunst zu führen. Gänge, Treppen, Werkstätten, Technikräume verwandeln sich in künstlerische Bezirke. Kriemhild sagt etwa drei Stunden später den programmatischen Satz: „Wie soll Bewegung entstehen, wenn überall Realität ist.“ Daher wird die Realität erst einmal zum Verschwinden gebracht.

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Der mächtige Spieler über uns: Falk Struckmann als Wotan steigt in eine abschätzbare Höhe

Leise und sanft, aber entschlossen ertönt in den Bläsern ein Akkord in reinstem C-Dur und verklingt, dazu perlt die Harfe. Die Streicher antworten noch weicher und sanfter. Wie der Stolzing auf seinem Podest scheint die Musik ruhig ein- und auszuatmen. Jetzt setzen die Bläser nur noch mit einem C ein, dann beginnt der Sänger sein so schlicht klingendes und vielleicht gerade dadurch so eigentümlich berührendes Lied: „Morgenlich leuchtend in rosigem Schein ... “ - Eigentlich höre ich gar nicht richtig, was er singt, so schön ist das.

 

Im Schlussteil bei Etzel ist die Bühne dann leer wie eine Hunnensteppe beziehungsweise die versteppte Seele Kriemhilds, die in schwarzer Trümmerfrauentracht zum Endkampf gegen ihre männliche Verwandtschaft antritt. Sie hebelt das Gastrecht der Nomaden aus, hetzt ihre Untertanen auf, doch das geschieht nur verbal. Stellvertretend für das große Schlachten flimmern die grimmig lachenden Gesichter der vier mittlerweile in die Bühnenunterwelt versenkten Nibelungen als riesengroße Röntgenbildnisse über die Rückwand. Deren adrenalinbefeuerte Freude am Gemetzel, womit Kriemhild offenbar nicht gerechnet hat, wird für sie zur mythischen Offenbarung. In einem alten, ewigen Krieg.