der hessische Demokrat Wilhelm Schulz, der schon 1832 am Hambacher Fest teilgenommen hat, sieht in Wagner einen Revolutionär nicht nur der Kunst. 1852 scherzt er in einem Brief an den Schweizer Dichter Gottfried Keller: "Das goldene Zeitalter wird damit beginnen, daß wir deutsche Volksvertreter uns hundertfach höhere Diäten dekretiren; nach dieser, aus allen pekuniären Verlegenheiten rettenden That wird ein großes, von Richard Wagner eigens componirtes Tedeum gesungen."
In seiner postumen Schrift „Über das Weibliche im Menschlichen“ rühmt Wagner den Buddha, der die Frau zunächst „von der Möglichkeit der Heiligwerdung ausgeschlossen gehalten wissen wollte“ und sich dann korrigierte: Es sei ein „schöner Zug der Legende“, dass sie „den Siegreich-Vollendeten zur Aufnahme des Weibes sich bestimmen lässt“.
Jonas Kaufmanns Parsifal stolpert nicht als Tölpel auf die Szene. Er ist ein moderner Charakter, der schon eine Geschichte hinter sich hat, auch wenn er über sie nicht Rechenschaft ablegen kann. Die Indifferenz des Kulturburschen lässt ihn abseits stehen, Gurnemanz ist über ihn empört, weil er sich artikulieren kann. Peter Mattei als Amfortas überwältigt durch unmenschlichen Schönklang, eine Noblesse, die in der Ritterrepublik ein Skandal ist. Die Frömmigkeit des Gurnemanz findet bei René Pape darin Ausdruck, dass der teilnehmende Erzähler nicht daran interessiert ist, Souveränität zu fingieren. Pape versteht sich darauf, den herrlichen Ton aus der Stimme zu nehmen, so dass ihr Klang einen Phrasenbruchteil lang löchrig oder fleckig wirkt.
Die Teilnahme am Gedächtnismahl ist Teilhabe an einem Geheimnis. Wir sehen die Weitergabe eines Segens und dürfen diesen Segen mit der Sage identifizieren. Was unter den Gralsrittern von Mund zu Mund geht und aus der Truppe einen Orden macht, ist nichts anderes als die Gralserzählung selbst.
„Tief anregend und fesselnd“ fand es Cosima Wagner am 16. September 1872, als ihr Gatte ihr aus der Vorrede von Joseph Görres zur mittelhochdeutschen Lohengrin-Dichtung die Gedanken des romantischen Religionsphilosophen über den „Zusammenhang des Grals-Mythus mit anderen Mythen des Altertums“ vorlas. Laut Görres wurde die Geschichte vom Abendmahlskelch, in dem Joseph von Arimathia das Blut des Gekreuzigten sammelte, von „Priesterschulen“ tradiert, in denen die „Priesterdynastien“ vorchristlicher Religionen wie Druiden und Brahmanen fortlebten. Die Legende vom geretteten Heilsgefäß versinnbildlichte die Kontinuität des Priestertums und den Anspruch der Priesterschaft auf die exklusive Verwaltung der Sakramente. Görres nennt die Gralsgeschichte deshalb „die Kirchensage“ beziehungsweise „die eigentliche Kirchenfabel“.
O Parsifal!“ Diese Anrufung verzeichnet Cosima Wagners Tagebuch, nachdem die Eheleute „förmlich“ erschrocken sind über die „jesuitischen Ornamente“, die „spitzfindige äußerliche Darstellung der religiösen Dinge“ in einem der Abendmahlsspiele von Calderón
Friedrich Nietzsche hat Wagner vorgeworfen, mit dem „Parsifal“ diese Fabel fortgesponnen zu haben. Er fragte, ob „das noch deutsch“ sei, und gab gemäß der im Kulturkampf eingehämmerten Gleichsetzung des Katholischen mit dem Undeutschen eine verneinende Antwort: „was ihr hört, ist Rom, – Roms Glaube ohne Worte“. Nicht ohne weiteres versteht man, warum der Ankläger die Worte des Textbuchs, das doch die Kirchenfabel ausbuchstabiert, ausdrücklich nicht zum Beweis der Propagandathese heranziehen will. Offenkundig geht es ihm darum, den katholischen Sinngehalt zur Geheimbotschaft zu stilisieren, die von der musikalischen Sprache transportiert werde.
von Cosima aufgezeichneten Regieanweisung an Parsifal: „Der Kerl darf nicht wie ein Prediger sprechen.“
Allerdings müsste diese Botschaft dem Komponisten selbst ein Geheimnis geblieben sein. Während der Arbeit am „Parsifal“ schrieb Wagner die Abhandlungen über „Religion und Kunst“, seinen Beitrag zum populären Genre der aus der Kirchenkritik abgeleiteten Kulturkritik. Er studierte Klassiker der antiklerikalen Aufklärung wie Voltaire und verlor den Geschmack an Görres. Nachdem er den Historiker W.E.H. Lecky gelesen hatte, einen „besonnenen Engländer“, nannte er es einen Skandal, dass der Katholizismus, die „Pest der Welt“, noch existierte.
Gott wird uns erleuchten, das richtige Gesetz zu finden [...]. Wie ein böser nächtlicher Alp wird dieser dämonische Begriff des Geldes von uns weichen mit all seinem scheußlichen Gefolge von öffentlichem und heimlichem Wucher, Papiergaunereien, Zinsen und Bankiersspekulationen. Das wird die volle Emanzipation des Menschengeschlechts, das wird die Erfüllung der reinen Christenlehre sein."
Wie kein anderer großer Künstler des 19. Jahrhunderts (mit Ausnahme Heinrich Heines) sucht Richard Wagner die Nähe zu den politisch radikalen Theoretikern seiner Zeit. Deren Gedanken wirken bis in seine Opern hinein. Das macht einen Teil ihrer Faszination aus. Wagner ist indes kein genuin politischer Kopf. Sein Radikalismus bleibt im Kern antipolitisch und voller Ressentiments gegen die Kräfte, die er als Ursachen sozialer Missstände ansieht: die industrielle Moderne, die Geldwirtschaft, die Kapitalisten und am Ende immer wieder "das Judenthum.
anarchistische Komponenten hinzu: eine Verherrlichung des großen Einzelnen – bei Wagner immer ein Künstler – sowie ein prinzipielles Misstrauen gegen den Staat.
Eduard Hanslick, notiert: "Wagner war ganz Politik; er erwartete von dem Siege der Revolution eine vollständige Wiedergeburt der Kunst, der Gesellschaft, der Religion, ein neues Theater, eine neue Musik." Er konzentriert sich wieder auf sein Hauptziel: die Gründung eines "deutschen National-Theaters" – natürlich unter seiner Leitung. "Deutsche" Kunst ist für ihn die wirksamste Waffe gegen die Moderne
Als Cosima sich in den Tagen der deutschen Einigung 1871 zu der Rührung bekannte, die ein Zitat des Bach-Chorals „Wenn ich einmal soll scheiden“ in ihr ausgelöst hatte, vertraute Richard ihr an, dass er „auf solche Empfindungen“ seinen „ganzen Parzival aufgebaut“ habe, den es damals nur als Prosaskizze gab. Und naturgemäß kamen die Eheleute sogleich „auf das Abendmahl zu sprechen und die tiefe Bedeutung des Mahles der Gemeinde; während jetzt der Priester das abmacht und die Subtilität aus Brot Hostien gemacht hat“. Girard überwindet die Subtilität, indem er aus Hostien Fingerzeige macht.
Schon Görres entdeckte aber in der Überlieferung der Kirchenfabel den Umriss einer Gegengeschichte. Das Vorbild des Gralstempels der Titurel-Dichtung wollte er in der Hagia Sophia erkennen. Ein „vollkommener Würfel“ trägt die Kuppel; im christlichen Tempel ersetzt das Kirchenschiff die Bundeslade mit der anti-esoterischen Konsequenz, „dass, was im alten Glauben Heiligtum war und das Gesetz in sich barg, jetzt die Gemeinde aufgenommen“. Das dem Quadrat eingeschriebene griechische Kreuz steht für das göttliche Prinzip, das sich der irdischen Ordnung der vier Weltgegenden einfügt. „Die christliche Gemeinde, versammelt im Tempel dieser Form, reproduziert dies mystische Symbol, sie ist der Leib ans Irdische gekreuzigt, der Geist aber in ihr, durch das Erlösungswerk befreit, steigt in der Andacht des Gottesdienstes zum Himmel auf.“ Zwar „ist das Haupt der Gemeinde die im Chor versammelte Priesterschaft“, aber „der innere Freiheitssinn“ der germanischen Völker sträubte sich dagegen, diese Sitzordnung im Sinne des „orientalischen Kastengeistes“ zu interpretieren: „Vor Gott mindestens waren im Tempel alle gleich.“
Gurnemanz erzählt die Geschichte von Amfortas und Klingsor nicht nur den vier Knappen, die noch eingeweiht werden müssen, sondern der gesamten Gemeinschaft der Ritter, die sie doch alle schon kennen sollten. Die Ritter sitzen im Kreis um ihn herum und nehmen die Unheilsbotschaft mit heftiger Bewegung auf, die sie offenbar bei jedem Vortrag der Geschichte wieder neu ergreift.
Der Kreis wird nicht gesprengt; im Gegenteil tritt durch das Wandern des Zitterns, durch die Zuckungen und Ausschläge die Einheit des Zirkels hervor. Die Ritterschaft selbst bildet einen Körper, der durch die Verletzung des Königs in Mitleidenschaft gezogen wird. Der Habit ist denkbar schlicht, was den Uniformcharakter hervorhebt: weißes Hemd, graue Hose. Man kann den Eindruck bekommen, dass alle individuellen Rollen innerhalb der Gemeinschaft ad hoc besetzt werden, aus der Gruppendynamik heraus.
Zur Führung des Maiaufstands gehört auch der desertierte russische Artillerieoffizier, Anarchist und Berufsrevolutionär Michail Bakunin. Während seines Dresden-Aufenthalts im Frühjahr 1849 wird dieser "wilde, vornehme kerl mit seiner furchtbaren energie" Wagners bevorzugter Spaziergangs- und Diskussionspartner. Das Lob der Zerstörung, das Wagner am 8. April in den Volksblättern veröffentlicht, zeugt von ihren Gesprächen. "Ich will zerstören die Herrschaft des einen über die anderen", schrieb Wagner. "Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge, welche die einige Menschheit in feindliche Völker, in Mächtige und Schwache, [...] in Reiche und Arme teilt, denn sie macht aus uns allen nur Unglückliche. [...] Zerstören will ich diese Ordnung der Dinge, die den Genuß trennt von der Arbeit, die aus der Arbeit eine Last, aus dem Genusse ein Laster macht." Wagner und Bakunin trieb, wie Martin Gregor-Dellin in seiner großen Wagner-Biografie schreibt, ein "antizivilisatorischer Affekt", dessen Gegenstück der Glaube an das Gute im einfachen Volk, an die Erlösung durch Mythen, durch Rückbesinnung auf das "ursprüngliche" deutsche (oder russische) Wesen war.
Ist das deutsch, fragte Nietzsche triumphierend, „dies Stürzen, Stocken, Taumeln“?
er lässt in Das Judenthum in der Musik (1850) seinem hasserfüllten Antisemitismus freien Lauf. Doch diese Tiraden haben auf die öffentliche Wahrnehmung Wagners kaum Einfluss. Vielmehr ist es für viele Demokraten von großer Bedeutung, dass der erfolgreiche Komponist auf den Dresdner Barrikaden gekämpft hat und nun steckbrieflich gesucht wird.
So hält der württembergische Achtundvierziger Ludwig Pfau im Mai 1850 fest: "Fast alle, die in Deutschland einen wissenschaftlichen oder künstlerischen Namen haben, sind Reaktionäre. Vom Grimm, Dahlmann, Humboldt bis zum Strauß u. Vischer." Wagner aber habe sich verdient gemacht "im Lager der Revolution".